Gastronomie

Genuss mit Verantwortung – Interview mit Ingo Plessing zum »Slow Food Genussführer«

Die Welt der nachhaltigen Gastronomie hält den Atem an, denn er ist wieder da: der Slow Food Genussführer! Lebensmittel ohne industrielle Geschmacksverstärker und Zusatzstoffe, frisch aus der Region und in handwerklicher Tradition zubereitet – das findet man in den ausgezeichneten Restaurants. Was die aktuelle Ausgabe des Genussführers zu bieten hat, erzählt der neue Leiter des Herausgeberteams, Ingo Plessing, im Interview.

30.08.2024

Genuss mit Verantwortung – Interview mit Ingo Plessing zum »Slow Food Genussführer« | Slow Food Ernährung

Der neue Slow Food Genussführer ist da – und Sie, Herr Plessing, sind seit einem Jahr der neue Leiter des Herausgeberteams. Erzählen Sie kurz etwas über sich, Ihren Werdegang bei Slow Food und wie Sie in ihre neue Rolle hineingefunden haben.

Essen und Genuss waren schon immer meine Leidenschaft. Als Kind genoss ich es sehr, mit meinen Großeltern essen zu gehen. Nicht nur, dass ich mir aus einer Vielzahl an Gerichten etwas aussuchen durfte, es war speziell auch die Atmosphäre, der Blick in die große, umtriebige Küche wie auch die Gastfreundschaft und Tischkultur, vom einfachen Ausflugslokal bis zum gehobenen Landgasthof.

Später studierte ich BWL, verbrachte aber mehr Zeit hinter dem Tresen eines Cocktail-Services und der Casino-Bar als im Hörsaal oder hinter den Büchern. Kurzfristig und ungeplant konnte ich in die Schweiz an eine Hotelfachschule wechseln und fand meine Berufung. Es folgten verschiedene Stationen in der Luxus-Hotellerie und ein Studium in International Hospitality Management.

Slow-Food-Mitglied wurde ich 2013, als ich nach den Wanderjahren wieder in der Heimat war. 2016 wurde ich stellvertretender Leiter der Regionalgruppe Stuttgart, 2017 deren Leiter. Im selben Jahr wurde ich auch Mitglied der Messe-Prüfung für den »Markt des guten Geschmacks« die Slow Food Messe in Stuttgart. Mit der weiterhin starken Leidenschaft für ordentliche Gastronomie und als langjähriges Testgruppenmitglied kam 2019 dann der Ruf in die Genussführer-Kommission von Slow Food Deutschland. Im vergangenen Jahr verabschiedete sich Wieland Schnürch nach 13 Jahren als Kommissions-Leiter und damit Leiter des Herausgeber-Teams und übergab den Staffelstab an mich.

Was ist das Besondere am »Slow Food Genussführer«? Was bekommt man hier, was andere Restaurantführer nicht bieten?

Es geht beim Slow Food Genussführer nicht allein um den Geschmack, die Aromen und Konsistenzen und das Arrangement auf dem Teller. Wir blicken auf das Gesamtkonzept, die »Philosophie« eines Lokals. Wir mögen handwerklich Gekochtes, wir wollen einen ganz klaren Verzicht auf industrielle Vorerzeugnisse und Zusatzstoffe, dazu regionaler und saisonaler Warenbezug mit transparenten Lieferketten. Wir als Gäste wollen wissen, wo das Gemüse, das Fleisch und alle relevanten Hauptkomponenten herkommen und unter welchen Bedingungen sie entstanden sind.

Die Leser*innen dürfen sich auf sehr unterschiedliche Restaurantkonzepte freuen, vom klassischen Dorfwirtshaus mit regionaltypischer Küche und traditionellen Speisen, über Lokale, die sich einem abwechslungsreichen Mittagsangebot verschrieben haben, bis hin zum mehrgängigen Fine-Dining-Menü mit internationalen Einflüssen. Doch alle Gasthäuser und Restaurants sind vereint im starken Interesse, Genuss mit Verantwortung anzubieten - also beste regionale Produkte mit kurzen, transparenten Lieferwegen - liebevoll zubereitet und gastfreundlich, charmant serviert.

Mehrere Ausgaben des Slow Food Genussführers liegen auf einem Holzbrett. Eine Ausgabe ist aufgeschlagen auf der Seite "ABC der regionalen Spezialitäten"

Auch beim Slow Food Genussführer selbst gibt es eine Neuerung: die nunmehr 6. Ausgabe fällt durch ihr verändertes Äußeres auf! Wie kam es zu der Entscheidung, das Design des Gastroführers zu überarbeiten?

Der Grund für diese Änderung ist hauptsächlich, dass sich Slow Food Deutschland ein neues Corporate Design gegeben hat und sich in der Folge nach über einem Jahrzehnt das Aussehen der Genussführer-Urkunden und -Siegel verändert hat. Eine passende Gelegenheit also, um auch das Cover des Genussführers zeitgemäßer und frischer zu gestalten.

Auf welche inhaltlichen Entwicklungen können sich die Leser*innen mit der neuen Ausgabe freuen?

Vor allem auf die bemerkenswerte Leistung unsere Testgruppen, für diese Ausgabe in den vergangenen zwei Jahren immerhin 15 Prozent neue Lokalen ausfindig gemacht und mehrfach besucht zu haben, die nun erstmalig im Genussführer beschrieben werden. Eine etwa gleich große Zahl haben unseren Ansprüchen nicht mehr genügt oder sind aus vielerlei anderen Gründen wie Schließungen nicht mehr dabei.

Die Gastronomie durchlebt schwierige Zeiten, immer wieder hört man von Personalmangel und Schließungen. Slow Food und die Testgruppen stehen in engem Austausch mit den Wirt*innen – wie nehmen Sie die Lage der Gastrobranche wahr?

Personalmangel ist ein gravierendes Problem. Die Ausbildung und Nachwuchsförderung werden nicht selten vernachlässigt. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen fällt es häufig nicht leicht, das eigentliche Handwerk, das breite Wissen und die gastronomische Kultur angemessen und tief zu vermitteln. Genussführer-Lokale bilden hier oft noch eine Ausnahme. Wer nicht ausschließlich nach Glanz und Sternen strebt, findet hier einen attraktiven und abwechslungsreichen Arbeits- oder Ausbildungsplatz.

Grundsätzlich ist die Fluktuation in der Gastronomie relativ hoch. Es ergibt für einen Jungkoch Sinn, mehrere Betriebe kennenzulernen, unterschiedliche Kochstile und Küchenleitungen zu erleben und vielfältige Dinge zu erlernen. Dasselbe gilt für den Service. Doch für die Wirte sind knappes Personal und Mitarbeiter nur auf Zeit ein zunehmendes und größeres Risiko. Das ist ein Grund für angepasste Konzepte: Öffnungszeiten und Sitzplätze werden reduziert, die Karte verkleinert, statt à la carte gibt es Menüs nur nach Reservierung – also mehr Planungssicherheit bei kalkulierbarem Aufwand.

Zu guter Letzt noch Ihr persönlicher Tipp: Welche regionale Spezialität ist ihr persönlicher Favorit im neuen Genussführer?

Eine schwierige Frage für mich, denn ich habe tatsächlich keinen Favoriten, freu mich aber immer über Innereiengerichte. Wenn ich unterwegs bin, interessieren mich vor allem traditionelle, regionale Spezialitäten, die eben nur dort vor Ort bekannt sind und angeboten werden. Andererseits freue ich mich ebenso über Lokale, die zeitgenössisch kochen und mich mit ihren Gerichten überraschen.

 

Porträtfoto von Ingo Plessing. Er hat schwarze kurze Haare und trägt einen dunklen Anzug mit bunter KrawatteIngo Plessing leitet das Herausgeberteam des Slow Food Genussführers. Der gelernte Hôtelier-Restaurateur ist langjähriges, aktives Slow Food Mitglied und arbeitet seit einigen Jahren als Weinfachberater.

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