Interview

Braucht Nachhaltigkeit Freiheit oder Zwang? – Stefan Brunnhuber im Gespräch

Unsere Welt ist politisch am Scheideweg: die Hälfte der Menschheit lebt aktuell in Demokratien, die andere in Autokratien oder failed states. Dies wird auch unseren Umgang mit der sozial-ökologischen Transformation beeinflussen, sagt Stefan Brunnhuber in seinem neuen Buch »Freiheit oder Zwang«. Im Interview stellt er offene und geschlossene Gesellschaften gegenüber, analysiert die Gefahr von rechtspopulistischen Tendenzen und erklärt, warum ziviler Ungehorsam eine offene Gesellschaft benötigt.

03.01.2024

Braucht Nachhaltigkeit Freiheit oder Zwang? – Stefan Brunnhuber im Gespräch | Demokratie Freiheit Gesellschaft

In Ihrem Buch »Freiheit oder Zwang« denken Sie den Begriff Freiheit neu. Erläutern Sie uns näher, wie Sie Freiheit im Kontext der ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verstehen.

Stefan Brunnhuber: Wenn es um Freiheitsgrade im 21. Jahrhundert geht und den damit verbundenen ökologischen Herausforderungen, sprechen wir eigentlich von zwei Formen von Freiheiten. Zum einen die bekannten Freiheiten: es gibt Grenzen der Freiheit und die Grenzen der Freiheit des Einzelnen fangen immer dort an, wo die Freiheit des anderen beginnt. Aber das ist im Kern eigentlich trivial und eigentlich kein Buch wert, denn es ist auch schon geschrieben worden.

Es gibt noch eine zweite Form von Freiheit, bei der es um die Freiheit an den Grenzen geht. Wir stoßen auf beispielsweise biophysikalische, planetarische Grenzen und es entsteht die Frage: Wie gehen wir mit diesen Grenzen um? Mit welchen Gesellschaftsmodellen tun wir das?

»Ich glaube, es ist besser, wenn wir die Fragen des Zusammenlebens auf dem Boden von Freiheitsgraden diskutieren anstatt auf dem Boden von Zwang, Kontrolle oder Zensur.«

Wenn wir dann über Freiheiten reden, dann geht es eben nicht nur um Freiheiten der jetzigen Generationen, sondern auch um intergenerationelle Freiheitsgrade – zukünftige Generationen, die auch ähnlich wie wir heute über ihr eigenes Geschäftsmodell, über ihre eigene Lebensform, über ihre Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens entscheiden wollen. Ich glaube, es ist besser, wenn wir diese Frage des Zusammenlebens auf dem Boden von Freiheitsgraden diskutieren anstatt auf dem Boden von Zwang, Kontrolle oder Zensur.

Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Wir würden diesen edlen Begriff der Freiheit eintauschen gegen andere, ebenfalls edle Begriffe wie Gerechtigkeit oder Solidarität – uns also hier an erster Stelle stellen und Freiheit nachordnen. Dann wären alle gesellschaftlichen Entscheidungen in Unfreiheit getroffen, von der Berufswahl über den Urlaub, über Klimafragen, über Kinderarmut und vieles mehr. Das kann ich so nicht wollen.

Ein Beispiel für Zwang und Kontrolle ist das autokratisch regierte China, das sich aber in Bezug auf Umweltschutz und erneuerbare Energien ehrgeizige Ziele gesetzt hat. Welche Lehren können demokratische Staaten aus Chinas Vorgehen ziehen?

Der Vergleich von China wird häufig herangezogen, um unser rechtsstaatliches, offenes Modell in Teilen in Frage zu stellen. Auf den ersten Blick sind die Ergebnisse, die China erreicht hat, beispielsweise bei der Armutsbekämpfung oder auch beim Hochskalieren von Solarpanels, in der Tat beeindruckend.

Wir müssen aber genau hingucken. Die Armutsbekämpfung war möglich, weil die Produkte, die in China hergestellt wurden, gerade im Westen – in offenen Gesellschaften – aufgekauft wurden. Es sind gerade autokratische Systeme, die im Kern kein Verständnis von Marktmechanismen haben, sondern in der Regel Über- oder Unterproduktionen generieren.

Schauen Sie sich den Immobilienmarkt in China an: völlige Fehlkalkulation. In China gibt es 146 Automobilhersteller, davon sind wahrscheinlich 142 überflüssig. Das Gleiche gilt für die Überproduktion bei den Solarpanels. Das sind alles staatlich vorgegebene Agenden, die den Markt irgendwie regulieren sollen. Die positive Funktion für uns ist, dass wir diese Überproduktionen zu günstigen Tarifen aufkaufen können und stehen hier sozusagen, wenn wir uns richtig positionieren, in der besseren Lage als manch andere.

Cover des Buchs »Die offene Gesellschaft«

Tipp: Eine umfassende Definition des Konzepts der offenen Gesellschaft finden Sie in Stefan Brunnhubers Buch »Die offene Gesellschaft, Ein Plädoyer für Freiheit und Ordnung im 21. Jahrhundert.« (2019).

 

Sie stellen in Ihrem neuen Buch »Freiheit oder Zwang« offene Gesellschaften gegen Autokratien. Ist diese Schwarz-Weiß-Polarisierung nicht ein stückweit abträglich, wenn wir alle zusammen die Krisen bewältigen wollen?

Ja, das ist eine berechtigte Frage. Und dennoch muss müssen wir, wenn wir uns entscheiden, in offenen Gesellschaften leben zu wollen, diesen Gegensatz, auch diese Polarisierung aushalten. Denn es steht im Kern immer die Freiheit auch zukünftiger Generationen auf dem Spiel.

Eine meiner Thesen in dem Buch ist, dass freiheitlich organisierte Gesellschaften Nachhaltigkeit besser können und zwar aus vielerlei Gründen. Der wichtigste Grund ist, dass weil geschlossene Gesellschaften ja das Gegenstück zu offenen Gesellschaften darstellen, diese von offenen Gesellschaften abhängig sind. Es sind doch offene Gesellschaften, die in ordoliberalen Märkten Preise generieren. Es sind doch offene Gesellschaften, die investigativen Journalismus und Grundlagenforschung zulassen, ohne staatliche Gängelei. Es sind doch offene Gesellschaften, die einen Dritten Sektor haben, einen kritischen Kulturbetrieb und ein Bildungssystem, das idealtypisch Kreativität und Freiheit und Neugier-Verhalten auslöst. Und gerade die Ergebnisse dieser Bereiche werden dann von geschlossenen Gesellschaften genutzt oder missbraucht.

Stellen Sie eine Welt vor, in der es nur autokratische Regime gäbe. Die Welt wäre doch ärmer. Die Welt wäre in Sachen Wohlstand, Wohlbefinden und Entwicklung deutlich hinter dem Niveau, was wir erreichen können.

»Offene Gesellschaften können Nachhaltigkeit besser.«

Aber Sie sprechen einen wichtigen Punkt an, nämlich dass diese Gegensatzbeziehung nicht auflösbar ist – auf der einen Seite offene, auf der anderen Seite geschlossene Gesellschaften. Und meine These im Buch ist: Wir sollten uns davon verabschieden, anderen Staaten ihre politische Agenda aufzuzwingen. Wenn andere Länder dieser Welt keine Rechtsstaatsmechanismen wollen und sich für einen anderen Weg entscheiden, dann ist es zunächst einmal die Entscheidung dieser Länder.

Und dennoch gibt es zwischen offenen und geschlossenen Gesellschaften ein gemeinsames Band. Das gemeinsame Band heißt Nachhaltigkeit jenseits der politischen Agenda, und das heißt an der Stelle übrigens auch eine Reform der internationalen Finanzmärkte. Denn es ist egal, ob sie in einem autokratischen Regime oder in einer offenen Gesellschaft leben, in beiden Fällen nehmen sie Bezug auf die Transaktionsformen, auf die Anreizstrukturen von internationalen Finanzmärkten. Das heißt die internationalen Finanzmärkte, die Finanzarchitektur ist gewissermaßen der überspannende Rahmen, unterhalb dessen sich unterschiedliche politische Agenden positionieren.

Sie sprechen vom »gemeinsamen Band der Nachhaltigkeit« – gerade erst fand die COP28 statt, bei der verschiedenste Länder und Regierungsformen aufeinandertreffen, um die großen Fragen rund um die Klimakrise gemeinsam zu lösen. Wie bewerten Sie dieses Format im Blick auf die sozial-ökologische Transformation?

Ich war letztes Jahr auf der COP27 in Scharm el Scheich und bin mit einem ernüchterten Eindruck zurückgefahren. Es ist ein Treffen, wo wir uns vernetzen können, auch mit politischen Gegnern und mit Gleichgesinnten. Aber das Format ist völlig ungeeignet, um politische Entscheidungen zu treffen.

Zum Glück gab es auf dem COP jetzt zwei Tage, die sich mit Thema Finanzen beschäftigen. Das ist ein Bereich, der unabhängiger von der politischen Agenda ist, unabhängig davon, ob man jetzt an Artensterben oder Klima »glaubt« oder nicht – der gewissermaßen einen Rahmen darstellt, auf den wir uns einigen können.

Eine zunehmend komplexere und krisengeschüttelte Welt könnte rechtspopulistische Tendenzen fördern, auch in Deutschland. Haben Sie die Befürchtung, dass mehr und mehr offene Gesellschaft zu Autokratien werden könnten? Was würde das für die Transformationsprozesse Prozesse bedeuten, die uns bevorstehen?

Wenn wir über Populisten sprechen, dann sind die Autokraten gewissermaßen die Herausforderung nach außen und die Populisten die Herausforderung nach innen. Und für sie gilt in gleicher Weise: Sie können emotional mobilisieren und polarisieren, können aber keine Probleme lösen. Probleme sind in einer komplexen Welt eben nur vor dem Hintergrund einer multilateralen Vernetzung möglich und nicht mehr nationalstaatlich, von der Migrationspolitik bis zu Nachhaltigkeitsfragen und vieles mehr.

»Die Gesprächsverweigerung ist eher ein Zeichen der eigenen Schwäche als ein Zeichen der eigenen Stärke.«

Aber die Auseinandersetzung mit Populisten kann uns etwas zeigen, wo wir noch besser werden müssen. Zum einen sollten wir vermeiden, das Gespräch zu verweigern. Wir müssen uns mit Populisten nach innen auseinandersetzen. Die Gesprächsverweigerung ist eher ein Zeichen der eigenen Schwäche als ein Zeichen der eigenen Stärke. Sie führt nämlich dazu, dass wir die Polarisierung eher vorantreiben als verhindern.

Und zweitens macht Gesprächsverweigerung als Liberaler dahingehend keinen Sinn, weil es in der Selbstanwendung inkonsistent ist. Denn ich muss davon ausgehen, dass ich als Liberaler, der eine offene Gesellschaft will, auch mit einem Mehrheitsbeschluss zurechtkommen muss, wo die mehrheitliche Mitte gegen mich stimmt. Und deshalb muss ich auch dann dafür plädieren, dass wir trotz aller Widersprüche und Gegensätze weiterhin im Gespräch bleiben.

Um auf die Nachhaltigkeitsfrage noch einmal zurückzukommen: ich würde ganz klar sagen, wenn uns diese Auseinandersetzung nicht gelingt, dann wird der Transformationsprozess sehr, sehr teuer. Er wird politisch teuer, weil er unsere offenen Gesellschaften destabilisiert und er wird ökonomisch teuer, weil wir die Wohlstandsmodelle gegenüber Autokraten nach außen und auch gegenüber der Nachhaltigkeitsfrage neu ausrichten müssen. Und dazu brauchen sie aber eine liberale Agenda und keine populistische.

In Ihrem Buch betonen Sie die Bedeutung einer kritischen Öffentlichkeit in offenen Gesellschaften, vor allem auch des zivilen Widerstands. In Deutschland ist es momentan die Letzte Generation, die mit ihren Protesten Aufmerksamkeit erregt. Wie schätzen Sie diese Proteste und die Reaktionen des Rechtsstaats ein?

Das ist immer eine Einzelfallentscheidung. Generell ist es verständlich, aber nicht hilfreich. Denn ich brauche eigentlich jetzt den Transformationsprozess, keine Generation, die sich auf dem Boden festklebt mit dem Hinweis, es müsse eine höhere Aufmerksamkeit gegenüber gewissen politischen Prioritäten stattfinden. Das halte ich für eine überflüssigen Hinweis. Das wissen wir ja alle. Und wenn dann Flughäfen, Autobahnen blockiert werden, dann löst es genau das Gegenteil von dem aus, was wir eigentlich wollen, nämlich Veränderung.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass zwei Dinge wichtig sind. Diejenigen, die sich festkleben wollen – wofür ich Verständnis habe – können das tun, weil sie sich im Vorfeld für offene Gesellschaften entschieden haben. In anderen Regimen, laufen Sie Gefahr, dass Sie bereits eingesperrt werden, wenn Sie nur ein weißes Blatt in die Luft halten. Das heißt, die Vorbedingung für den zivilen Ungehorsam sind offene Gesellschaften, die wir im Selbstwert auch schützen müssen.

Und das Zweite muss auch klar sein für alle Beteiligten: wenn es durch den zivilen Ungehorsam zu massiven Einschränkungen kommt, müssen die damit verbundenen sozialen Haftungsfragen auch vollumfänglich personell umgesetzt werden. In jeder Hinsicht. Ja, es ist grundgesetzlich gedeckt, sowas zu tun. Aber ich möchte darum bitten, dass jeder, der ungehorsam ist – das bin ich auch in manchen Bereichen ­–auch die Haftung für sein Verhalten übernehmen muss. Sonst wird der ganze Prozess des Protests infantil.

Mehr zum Buch 

Wer kann Nachhaltigkeit besser – Offene Gesellschaften oder Autokratien?

»Ein klares, beeindruckendes Buch!«
Prof. Dr. Gert Scobel, 3 Sat, Wissenschaftsjournalist

»Das Buch zeigt, wie Liberalismus und Nachhaltigkeit zusammenpassen. Unbedingt ...   

Der Autor 

Stefan Brunnhuber, ursprünglich gelernter Kfz-Mechaniker, ist Mediziner und Wirtschaftssoziologe, Psychiater und Ökonom; er ist als Ärztlicher Direktor und Chefarzt in Sachsen, internationales Vollmitglied im Club of Rome und Trustee der ...

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