Technologie

Digitalisierung in der Landwirtschaft: Nicht auf Kosten der Nachhaltigkeit!

Weniger Düngemittel und fossile Brennstoffe, eine effizientere Wertschöpfung – die digitalisierte Landwirtschaft hat viele Vorteile. Lea Kliem, Tsvetelina Krachunova und Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura mahnen in der Ökologie & Landbau Ausgabe 03-2023 jedoch vor einem Trend der Intensivierung und fordern, Biodiversitätsschutz zum Leitziel der Digitalisierung zu erklären.

26.06.2023

Digitalisierung in der Landwirtschaft: Nicht auf Kosten der Nachhaltigkeit! | Landwirtschaft Digitalisierung

Bereits jetzt kommen in zahlreichen Landwirtschaftsbetrieben in Deutschland digitale Technologien wie Lenk- und Fahrassistenzsysteme, vernetzte Sensoren, intelligente Datenmanagementsysteme, Drohnen und KI-gesteuerte Feldroboter zum Einsatz. Zunehmende ökologische Herausforderungen wie der rapide Verlust von Biodiversität oder der Klimawandel stellen Landwirt*innen vor die Mammutaufgabe, Arten- und Tierschutz-, Bodenschutz- und Klimaschutzmaßnahmen mit Ertragsstabilität und der Erzeugung hochqualitativer Lebensmittel in Einklang zu bringen.

Zur effektiven Bewältigung dieser Herausforderungen wird der Digitalisierung im Agrarsektor sowohl in der Praxis als auch in Forschung und Industrie häufig eine Schlüsselrolle beigemessen. Empirische Belege dafür gibt es bisher jedoch nur wenige.

Digitale Trends auf dem Acker

Drei aufeinander aufbauende Trends beschreiben grob die zentralen technologischen Entwicklungen in der Landwirtschaft: Präzisionslandwirtschaft, Smart Farming und Landwirtschaft 4.0. Präzisionslandwirtschaft gilt als Ursprung der Digitalisierung der Landwirtschaft. Sie beschreibt die ortsdifferenzierte, zielgerichtete und variable Ausbringung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und Ressourcen auf einem Feld oder Feldabschnitt.

Smart Farming geht über Präzisionslandwirtschaft hinaus, indem es den Anwendungsfokus digitaler Lösungen von der flächen- und teilflächenspezifischen Bewirtschaftung auf die Optimierung komplexer Anbausysteme und des gesamten Betriebsmanagements erweitert. Durch die Vernetzung von Geräten, die Daten generieren (z. B. Sensoren), und ausführenden Geräten (z. B. Bewässerungssystemen) wird das Ausbringen von Betriebsmitteln und Ressourcen auf Basis von Echtzeitdaten ermöglicht. Dadurch können landwirtschaftliche Prozesse unterstützt und teils automatisiert werden.

Seit gut zehn Jahren zeichnet sich nun ein grundlegender Paradigmenwechsel ab, weg von punktuellen Anwendungen digitaler Technologien in der Landwirtschaft hin zu einer ganzheitlich neuen Art der landwirtschaftlichen Wertschöpfung – der Landwirtschaft 4.0. Hierbei ist die zentrale Vision, Daten von Angebot und Nachfrage qualitativ hochwertiger landwirtschaftlicher Produkte verzahnt zu betrachten und gleichzeitig ökologische Externalitäten zu internalisieren. Die intelligente Vernetzung etablierter und aufstrebender Technologien soll dabei zukünftig eine effiziente, transparente und flexible landwirtschaftliche Wertschöpfung ermöglichen.

Mähdrescher auf einem gelben Getreidefeld umgeben von digitalen Symbolen

Ressourcen effizient nutzen

Die Nutzung digitaler Technologien zur Steigerung der Ressourceneffizienz wird häufig als Chance für die Umwelt diskutiert. Eine Literaturanalyse hat gezeigt, dass vor allem Einsparungen bei der Ausbringung von Düngemitteln erzielt werden können. Eine Metastudie hat ergeben, dass durch die teilflächenspezifische Ausbringung von Düngemitteln Stickstoffrückstände im Boden um 30 bis 50 Prozent reduziert werden können (Schrijver und van Woensel, 2016). Dies ist nicht nur wichtig für die Stabilisierung der natürlichen Stoffkreisläufe und den Klimaschutz, sondern hat auch positive Auswirkungen auf das Bodenleben.

Ein weiteres ökologisches Potenzial von Präzisionslandwirtschaft und Smart Farming liegt darin, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Der wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments schätzt die Einsparpotenziale je nach Anwendungsfall auf bis zu 80 Prozent (Schrijver und van Woensel, 2016), aber bislang haben nur zwei Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland Einsparungen von mehr als 20 Prozent erzielt (Bovensiepen et al., 2016).

Darüber hinaus können durch digitale Technologien auch Einsparungen beim Verbrauch von fossilen Treibstoffen, Energie und Wasser erzielt werden. Spurführungstechnologien können den Primärenergieverbrauch im Pflanzenbau beispielsweise um 17 Prozent reduzieren (Saiz- Rubio und Rovira-Más, 2020). Einige Feldroboter werden durch eigene Solarzellen versorgt und verursachen daher keine energiebedingten Kohlenstoffdioxid-Emissionen.

Darüber hinaus ermöglichen digitale Technologien ein verbessertes Monitoring und Tracking umweltbezogener Daten. Durch sogenannte Environmental-IoT können neue landwirtschaftliche und umweltbezogene Daten erhoben werden, um Umweltwirkungen zu erkennen und in der landwirtschaftlichen Praxis besser zu berücksichtigen. Zum Beispiel können hochauflösende Sensoren Habitate klassifizieren und darauf basierend die Artenvielfalt modellieren. Mit Kameras oder Sensoren ausgestattete Drohnen werden auch als potenzielle Hilfswerkzeuge eingesetzt, um verschiedene Biodiversitätsindizes wie die Heterogenität von Habitaten, die Artenvielfalt oder Vegetationsindizes zu kartieren oder Tierlaute aufzunehmen. Neuartige, leichte und flexible Maschinen wie Feldroboter und Drohnen bieten außerdem die Chance, kleinere Anbausysteme mit größerer Vielfalt zu bewirtschaften. Einige Wissenschaftler* innen argumentieren daher, dass die Digitalisierung des landwirtschaftlichen Sektors zur Diversifizierung landwirtschaftlicher Produktionssysteme beitragen kann.

Drohne versprüht Pestizide über einem Feld

Digitalisierung contra nachhaltige Agrarwende?

Neben den Chancen, die die Digitalisierung bietet, besteht auch das Risiko, dass digitale Technologien die Intensivierung von Agrarsystemen weiter vorantreiben und somit eine nachhaltige Transformation der Landwirtschaft erschweren könnten. Ein wesentliches Risiko liegt darin, dass Präzisionslandwirtschafts-Technologien bisher vorrangig zur Intensivierung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung eingesetzt wurden. Die Effizienzsteigerungen wurden also nicht zur Reduktion von Inputs, wie beispielsweise Agrochemikalien und Düngemitteln, genutzt, sondern zur Erhöhung des Outputs, was als Rebound- Effekt bezeichnet wird. Solche Rebound-Effekte werden bei der Digitalisierung der Landwirtschaft befürchtet und vereinzelt auch nachgewiesen. Die Tatsache, dass trotz der Verbreitung einzelner Präzisionslandwirtschafts-Technologien in den letzten 20 Jahren der Einsatz von Agrochemikalien in Deutschland nahezu konstant geblieben ist, kann als Hinweis auf das tatsächliche Vorliegen von Rebound-Effekten gewertet werden.

Zudem besteht das Risiko, dass insbesondere kleine und mittelständische Betriebe aufgrund eines erhöhten administrativen Aufwands und mangelnden Wissens nicht in der Lage sind, erhoffte Ressourceneinsparungen und eine nachhaltigere Betriebsführung zu erzielen, weil Daten nicht adäquat erfasst, ausgewertet, geteilt und genutzt werden. Auf sozioökonomischer Ebene scheinen die Risiken bislang zu überwiegen. Insbesondere zeigt sich eine Tendenz zur Konzentration von infrastruktureller, ökonomischer und datenbasierter Macht, die auch ökologisch negative Auswirkungen wie die Homogenisierung von Anbausystemen mit sich bringen kann.

Ein weiteres Risiko besteht darin, dass Landwirt*innen verstärkt von Einführungs-, Reparatur-, Automatisierungs- und Beratungsdienstleistungen abhängig werden. Die hohen fixen Investitionskosten vieler digitaler Technologien könnten insbesondere kleinere Landwirtschaftsbetriebe dazu zwingen, Wertschöpfungsbereiche an externe IT-Dienstleister auszulagern, oder dazu führen, dass sie an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Durch die starke vertikale und horizontale Integration digitaler Dienstleistungen werden diese von nur wenigen Konzernen angeboten, was die Auswahlmöglichkeiten einschränkt. Diese Informationsasymmetrie wird durch die veränderten Anforderungen an Landwirt*innen noch verstärkt.

Biodiversität zu erhalten, ist aktuell kein primäres Ziel der Digitalisierung der Landwirtschaft, sondern stellt lediglich einen möglichen Nebeneffekt dar. Bisherige Technologien fokussieren häufig vor allem darauf, bestehende Technologiepfade marginal effizienter zu machen und die Landwirtschaft damit weiter zu intensivieren. Um die Landwirtschaft ökologisch nachhaltig zu transformieren, müssen agrarökologische Ansätze gestärkt werden. Ziel muss es sein, Agrarsysteme zu diversifizieren und langfristig resilienter zu machen. Kaum im öffentlichen Bewusstsein sind bislang die Risiken, die sich aus der Digitalisierung ergeben, wie etwa Rebound-Effekte.

Bunte Blumen vor einem Feld, auf dem ein Traktor fährt

Biodiversitätsschutz zum Leitziel erklären

Welche Potenziale digitale Technologien für Biodiversität und Naturschutz entfalten können, hängt auch von den politischen Rahmenbedingungen ab. Eine strategische staatliche Lenkung der digitalen Transformation der Landwirtschaft zur Nutzung vielversprechender Potenziale und Eindämmung potenzieller Risiken ist daher notwendig. Dafür bedarf es multipler Maßnahmen: mehr transdisziplinäre Forschung zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Biodiversität; Förderprogramme, die auf Biodiversitätsschutz ausgerichtet und auch für kleine und mittelständische Betriebe attraktiv sind; klare Datenschutzvorgaben; der Ausbau von Aus- und Fortbildungsangeboten sowie eine bessere digitale Infrastruktur.

Schlussendlich werden digitale Technologien aber nur dann wirklich zum Naturschutz beitragen, wenn Biodiversitätsschutz ausreichend honoriert und zum Leitziel der digitalen Transformation wird. Gleichzeitig ist zweifelhaft, inwieweit strukturellen Problemen durch rein technische Lösungen Abhilfe geschaffen werden kann. Digitale Technologien müssen daher zusammen mit nicht digitalen Hebeln für die ökologische Transformation der Landwirtschaft eingesetzt werden.

 

Literatur

Dieser Beitrag stammt aus 

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